Ein Projekt des hr.fleischer e.V.
2018 – 2019 in Halle (Saale)
Expeditionen kann man lange planen und weiß doch nicht was einen erwartet. Es geht darum, neue, unbekannte Wege zu beschreiten, offen zu sein, Neues zuzulassen, spontan zu reagieren, egal was kommt. Bei »EXPEDITIONEN. Die Stadt als Aktionsraum« sind es Künstler*innen, die den Stadtraum von Halle sowohl erkunden, als auch bespielen.
Bei der Auswahl der Künstler*innen wurde Wert darauf gelegt, vielfältige Herangehensweisen zusammenzubringen, die dennoch das Interesse an Kunst im öffentlichen Raum eint. Bei diesem Langzeitprojekt des Vereins hr.fleischer, das im Herbst 2018 begonnen hatte, arbeiten Künstler*innen aus Halle (Saale), Berlin, Bonn, Leipzig und Weimar in unterschiedlichen Konstellationen zusammen.
Als Ort für die künstlerische Entwicklung des Projektes dient das STADTLABOR in der Großen Klausstraße 6 in Halle. Es ist Treffpunkt, Informationsstelle und Schaukasten. In der Zeit vom 7. bis 16. Juni 2019 rückt es noch stärker in den Fokus. Es wird zur Basisstation der sieben Künstler*innen und das Schaufenster zum Offenen Archiv, welches in dieser Zeit nach und nach befüllt wird.
Vom Stadtlabor aus gehen die Künstler*innen mit dem EXPEDITIONSMOBIL gemeinsam auf Expedition. Die dabei gewonnenen Eindrücke und Erfahrungen wollen sie mit Nachbar*innen, Passant*innen und Gästen teilen. Anhand der Mitbringsel und Fundstücke, die im Offenen Archiv präsentiert werden, sind die Stadterkundungen der Expeditionist*innen auch später nachvollziehbar.
Kommen Sie gemeinsam mit uns auf Entdeckungsreisen durch Ihre Stadt! Zwischen dem 7. und 16. Juni 2019 werden die Aktionen im öffentlichen Stadtraum von Halle (Saale) erlebbar sein.
Schauen Sie nach unserem EXPEDITIONSMOBIL und werden Sie Teil der EXPEDITIONEN durch die Saalestadt.
Sophie Baumgärtner
Jan Dubský / Stiftung Freizeit
André Kestel
Seraphina Lenz
Vasili Macharadze
Luzie Milena Weigelt
Sophia Wiest
»Offenes Archiv«
im STADTLABOR, Große Klausstraße 6, 06108 Halle (Saale)
Initialisierung: Fr, 7. Juni, 18 – 20 Uhr, Entstehung: 7. – 16. Juni, Ausstellung: 7. Juni – 31. Juli
Die Künstler*innen erschließen bei ihrem Eintreffen in Halle die Expeditionsbasis im STADTLABOR als ihren Raum. Er ist Ausgangs- und Endpunkt einer jeden Unternehmung der Expeditionsreise. In diesem Raum werden Erlebnisse ausgetauscht, Erfahrungen, sowohl dinglich als auch visuell, fragmentarisch gesammelt, archiviert und repräsentativ organisiert. Im Schaufensterbereich entsteht ein Offenes Archiv. Hier werden die Verbindungen, die auf den Reisen durch die Stadtteile und zwischen den sich Begegnenden entstanden sind, sichtbar gemacht. Lokalisiert am Ort der ersten Zusammenkunft der Teilnehmer*innen ist diese Basis das Herzstück der Expedition.
Das Projektwochenende beginnt mit der Er/Öffnung und Initialisierung des fast noch leeren, vorbereiteten Archives im Schaufenster des STADTLABORs, welches nach und nach befüllt werden wird.
Jan Dubský: »Kochreise«
Sa, 8. Juni, 11 – 16 Uhr Wanderungen durch die Stadt, Start- und Endpunkt Stadtlabor Große Klausstr. 6, 16 – 19 Uhr gemeinsames Kochen und Essen vor dem Stadtlabor
Es gibt nichts urmenschlicheres als das Bedürfnis nach Nahrung. Die Selbstverständlichkeit eines Zugangs zu Trinkwasser und Lebensmitteln ist jedoch ein utopisches Ideal in einer Welt, in der jeder Neunte von uns unfreiwillig hungert. Die ökonomischen Gesetze sorgen nicht für einen gesunden Stoffwechsel der Gesellschaft, sondern schließen manche Individuen oder gar gesamte Gruppen und Regionen aus.
Die Stadt als ein komplexes Gewebe von innovativen Ideen, dichten Netzwerken, ungewöhnlichen Allianzen und starken Individuen verbirgt das Potenzial, neue Wege zu finden. Funktioniert der Metabolismus, bringen neue Adern wichtige Nährstoffe bis zum Rand der Gesellschaft. Die psychosomatischen Probleme lösen sich auf und Utopien werden zu gelebten Realitäten.
Sieben hungrige Künstlerinnen und Künstler begeben sich auf eine Suche nach dem Miteinander in die hallesche Öffentlichkeit. Sie hoffen, auf das Menschliche zu stoßen, unerwartete Verbindungen zu stiften und satt zu werden. Die Künstler*innen unternehmen von dem Basislager, in der Großen Klausstraße 6, aus eine Expedition, um Lebensmittel zu gewinnen und dort hin zurückzubringen. Aus den zurückgebrachten Lebensmitteln wird im Anschluss zusammen gekocht.
Der gegebene Rahmen soll es ermöglichen mit der Öffentlichkeit auf Augenhöhe in Kontakt zu treten und im Rahmen eines gemeinsamen kreativen Prozesses Situationen zu schaffen, in denen es zur gegenseitigen Bereicherung oder auch Auseinandersetzung kommen kann. Das EXPEDITIONSMOBIL begleitet diese Expeditionen und wird zum Wahrzeichen der Reise. Es steht dabei für die große Sehnsucht nach Verbindung.
Sie sind herzlich eingeladen, an unserer Expedition teilzunehmen. Sie können Lebensmittel spenden, mit kochen oder einfach zum gemeinsamen Abendessen vorbeikommen und die Künstlerinnen und Künstler kennenlernen.
Seraphina Lenz in Kooperation mit Sophie Baumgärtner und Sophia Wiest: »Souvenirs von der Silberhöhe«
So, 9. Juni, 14 – 18 Uhr Karree zwischen Haltestelle S-Bahnhof Silberhöhe und Haltestelle Gustav-Staude-Straße
Die gefühlte Distanz zwischen Halle-Silberhöhe und dem historischen Zentrum der Händel-Stadt scheint größer als sie real ist. Nur 16 Minuten dauert die Fahrt vom Markt zum S-Bahnhof Silberhöhe.
Im Rahmen des Projektes „EXPEDITIONEN. Die Stadt als Aktionsraum“ reisen die Künstlerinnen Sophie Baumgärtner, Seraphina Lenz und Sophia Wiest zu diesem scheinbar fernen Ort, dessen poetischer Name ihn als Sehnsuchtsort erscheinen lässt. Sie erforschen ihn und bringen die Forschungsergebnisse zurück ins Stadtzentrum, um sie dort zu zeigen. Die künstlerische Recherche beinhaltet Elemente von Feldforschung und Spurensicherung und materialisiert sich vor Ort in einer interventionistischen Werkstatt.
Auf einem Areal in der Silberhöhe entsteht unter freiem Himmel ein Raum für die kollektive Produktion von Souvenirs mit mobiler Werkstatt, Café und Museum, das aktuelle Fundstücke und Alltagsgegenstände aus der Entstehungszeit der Silberhöhe beinhaltet.
Ziel ist es mit Anwohner*innen ins Gespräch zu kommen, sie zur verbalen oder handwerklichen Produktion möglicher Souvenirs oder Botschaften von der Silberhöhe einzuladen und so eine Annäherung an das aktuelle Lebensgefühl einzelner Protagonist*innen zu versuchen. Es geht um eine atmosphärische, persönliche Momentaufnahme, frei von demoskopischen, kapitalisierbaren Ansprüchen.
Vasili Macharadze: »Boat Transmitter«
Begleitend zu den Aktionen »Kochreise«, Sa, 8. Juni, 11 – 16 Uhr sowie »Souvenirs von der Silberhöhe«, So, 9. Juni, 14 – 18 Uhr
Trennung erzeugt eine Spannung zwischen zwei Teilen. Das Boot in Bewegung impliziert die Anwesenheit eines Ozeans und stellt darin eine Zone der Privatheit dar. Aber was ist das emotionale Potenzial eines Bootes, das in zwei Teile geteilt ist?
Die zwei Teile des EXPEDITIONSMOBILs, welche aus ehemals einem Boot hervorgegangen sind, werden miteinander über installierte Sender und Empfänger verbunden. So soll die metaphysische Spannung zwischen ihnen ergründet und mit den separat durch die Stadt beweglichen Teilen neue Kommunikationsmöglichkeiten eröffnet werden.
Luzie Milena Weigelt: »Gesture souvenirs / Eine Bewegungsessenz«
Begleitend zu den Aktionen »Kochreise«, Sa, 8. Juni, 11 – 16 Uhr, sowie »Souvenirs von der Silberhöhe«, So, 9. Juni, 14 – 18 Uhr
Luzie Milena Weigelt beschäftigt sich in dieser Arbeit, ausgehend vom Tastsinn als essentiellem menschlichen Forschungssinn, mit der Verkörperung von verschiedenen Stadtteilen in Halle. Durch das Hineinschlüpfen in unbekannte Bewegungsgewohnheiten möchte sie den lebendigen Dialog zwischen Körper und Umgebung erforschen und in Form eines Souvenirs einsammeln und teilen.
Wie wirkt sich eine Umgebung auf unseren Körper aus? Wie prägt sie unsere Bewegung? Und wann geht etwas neu Erlebtes tatsächlich in uns über und wird ein eigenes Bewegungsmuster, etwas zum mitnehmen, ein Souvenir für später?
André Kestel: »4 sounds 4 Halle«
Vier an verschiedenen Orten Halles aufgenommene Sounds werden an verschiedenen Tagen für einige Stunden im öffentlichen Raum wiedergegeben. Die Sounds verweisen auf ihre eigenen Erlebnisräume und gleichzeitig auch auf deren Abgrenzung voneinander. Der vordere Teil des EXPEDITIONSMOBILs ist dabei der Klangkörper, der die jeweiligen Akustikräume an für sie untypische Orte verpflanzt.
Dienstag, 11.6.2019, 12–19 Uhr
Ort: seitlich vom Ratshof, Richtung Leipziger Straße
Soundthema: schallender Applaus, frenetische Zustimmung, stehende Ovationen …“Bravo!“
Mittwoch, 12.6.2019, 12–20 Uhr
Ort: Grünanlage, ebenerdige Abzweigung von oberer Leipziger Straße in Richtung IHK
Soundthema: Schwimmbad, Tohuwabohu, Ausgelassenheit; Sport, Spiel und Freizeit; dynamische Kopplung; Spielplatzlärm, Turnhalle
Donnerstag, 13.6.2019, 12–20 Uhr
Ort: am Peißnitzhaus
Soundthema: SUPER!-markt-Rhythmus mit mindestens 4 Kassen; Geschiebe, Gepiepe, Druck im Waren-/Geldtausch. Hierbei wird man nun – leider – von dem verfolgt, vor dem man eigentlich flieht. Die Vereinbarung von Funktionsräumen (Erholung vs. Betriebsamkeit) wird gebrochen.
Freitag, 14.6.2019, 12–20 Uhr
Ort: Riebbeckplatz-Rondell, zwischen Straßenbahnschienen und Spielhalle
Soundthema: „ewiges Geplätscher“, Springbrunnengeräusche, Saalerauschen
Das könnte auch als akustischer Lösungsvorschlag (tatsächlich eine Wasserspielanlage zu planen) verstanden werden, da dieser Platz bis heute sehr „missglückt“ erscheint. Korreliert mit Soundthema und -ort Nr. 2, auch mit dem Klangkörper (Bootsteil) und dem Element Wasser.
André Kestel: »Händeldirigat«
Sa, 15. Juni, 17 – 18 Uhr auf dem Marktplatz neben dem Händeldenkmal
In Kooperation mit den Händel-Festspielen Halle
Auf einem 2,80 m hohen Marmorpodest steht Händel in leicht kecker Kontrapostpose mit einer Größe von 3,20 m auf dem Marktplatz (seit 160 Jahren) – wir schauen zu ihm 6 m hinauf und er (auf Sichtlinie Marktkirche / London) über uns hinweg. Dieser übergroßen Statue aus dem 19. Jahrhundert stellt der Künstler André Kestel eine reale Person aus der Jetztzeit gegenüber. – Seitlich versetzt zum Händeldenkmal wird eine Hebebühne hochgefahren, die an einen Sockel erinnert. Darauf steht, etwas höher als die Skulptur des berühmten Komponisten, die Dirigentin Jihye Ha und dirigiert vor einem fiktiven Orchester den 3. Teil von Händels »Messiah«
Intention:
Bezugnahme zur Denkmalskultur und deren Bedeutung im öffentl. Raum (Wirkungshöhe) – errichtet in einem anderen Zeitalter und doch – als zeitloses Kontinuum präsent = Kulturleistungsparameter – symbolisierte Ikone im Stadtmarketing / im Bewahren v. Leistungsträgern und ihrer Herkunft aus vergangenen Jahrhunderten / im Innehalten von Zeit.
Auf einem 2,80 m hohen Marmorpodest steht Händel in leicht kecker Kontrapostpose mit 3,20 m Größe auf dem Marktplatz (seit 160 Jahren) – wir schauen zu ihm 6 m hinauf und er (auf Sichtlinie Marktkirche / London) über uns hinweg.
Einer Statue aus dem 19. Jahrhundert wird eine Person aus der Jetztzeit / aktive Bewegung 2019 (zu seinem 1742 erstaufgeführten Werk „Messias“) gegeneinander (Rücken zu Rücken) und füreinander (im Sinne der kostbaren Musik) gestellt.
Die Bewegung ist das kontemplative Element der Produktion (auf dem Podest sowie auf dem Marktplatz) als Großes und Ganzes in diesem Moment.
42 Opern & 25 Oratorien :
Händels Schaffen hatte sich ab 1740 auf das Genre der Oratorien verlegt und hier wird der Gnosis (Gotteserkenntnis) im überirdischen Musikwerk gehuldigt. Händels Genius verstärkt die Glaubenskultur der Christenheit / komponierte Bezeugung der biblischen Erzählung des Heiles der Kreuzigung / Wiederauferstehung usw. dem Werden & Vergehen im christl. Weltbild – dem Heiland im Diesseits verpflichtet.
Und heute …? Sanierte Kirchengebäude und Feiertage wirken im Alltag statisch (geregelt und gesetzt). Allein die Kunst greift über die Glaubensgemeinde in die Moderne Gesellschaft hinein. Sie verleiht noch den erlebbaren Gestus des „höheren Sinns“ diesseitigen Existierens aus einer vergangenen Epoche – als „Klammer“ der Gemeinschaft der Menschheit und ihrer immer währenden Frage, woher wir kommen und wohin wir gehen.
Vermessungsarbeit Hallescher Denkmäler – Verhältnisforschung
Standort / Wirkhöhe / Epoche / Themenfeld
Vasili Macharadze »Denkmal zu Ehren von Bas Jan Ader«
So, 16. Juni, ab 6 Uhr morgens, Marktplatz
Dieses Pop-Up Denkmal ist eine Hommage an den niederländischen Künstler Bas Jan Ader. Umgeben von einer weichen Plattform steht Vasili Macharadze auf einem Pfeiler und wird Kraft seiner Verehrung für den Künstler dem unvermeidlichen Zustand der Erschöpfung weitestgehend widerstehen – bis er einschläft oder herunterfällt. Obwohl er sich in dieser Performance visuell die konventionellen Formen
von Denkmalen aneignet, ist vor allem die persönliche Ehrerbietung von Vasili Macharadze ein essenzieller Bestandteil.
Sophia Wiest, Sophie Baumgärtner: »Eine Kaffeefahrt durch Halle«
So, 16. Juni, 14 – 16 Uhr Startpunkt an der Pferdeskulptur der Giebichensteinbrücke
Während sonst bei Bootsfahrten die Tourist*innen bei einem Kaffee etwas Wissenswertes über die Stadt erfahren, ist es bei dieser Kaffeefahrt genau andersherum. Sie nehmen Platz im EXPEDITIONSMOBIL und werden bei Kaffee und Kuchen durch die Stadt geschoben. Auf Kurs in Richtung der Orte, welche mit besonderen Ereignissen oder Erlebnissen der Passagiere verbunden sind, sammelt das Bordpersonal persönliche Geschichten, die in kurzen Texten als Souvenir festgehalten werden.
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